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Die Holzkreuze von Jaun

FN Artikel vom 26.10.2025

 

– ein traditionelles Kunsthandwerk in Gefahr?

 

Was in den 1940er-Jahren aus Armut entstand, ist heute bedroht. Die Holzkreuze des Friedhofs Jaun sind international bekannt, doch ihre Zukunft bleibt ungewiss.


Publiziert: 26.10.2025, 18:53 Uhr

 

 

 

 

 

 

Walter Cottier, der Schöpfer der Grabkreuze

An diesem regnerischen Oktobermorgen steht Werner Schuwey vor dem Holzkreuz von Walter Cottier, dem Schöpfer dieser kunstvollen Kreuze. Cottier wurde 1921 geboren und verschied 1995. «Im Jahr 1948 verstarb Walters Grossvater», erklärt Werner Schuwey. «Da die Familie kein Geld für ein Grabkreuz hatte, beschloss der damals frisch aus der Rekrutenschule entlassene Walter Cottier, mit seinem Taschenmesser selbst ein Kreuz zu schnitzen.» So nahm die Tradition ihren Anfang.

Cottiers kunstvolle Grabkreuze fanden grossen Anklang, und schliesslich entschied die damalige Friedhofskommission, dass künftig nur noch Kreuze von Walter Cottier auf dem Friedhof von Jaun verwendet werden dürfen.

 

Walter Cottier stammte aus einer sehr armen Familie. Sein Vater verstarb früh und hinterliess fünf Kinder. Trotz seiner späteren Anerkennung als Künstler, gekrönt vom Kulturpreis des Kantons im Jahr 1988, prägte ihn die in seiner Kindheit erlebte Armut tief. «Der Friedhof war für Walter der ideale Ort, um seine Vorstellungen von Leid, Kunst, Dasein und Vergänglichkeit zum Ausdruck zu bringen», so Werner Schuwey, «er konnte mit seinem Erfolg nur schwer umgehen und blieb sein Leben lang bescheiden.»

 

Der Nachfolger

Noch zu Lebzeiten von Walter Cottier trat der Jauner Reynold Boschung in dessen Fussstapfen und besuchte ihn mehrmals in seiner Werkstatt. Reynold übernahm Cottiers charakteristische Art und Weise, Kreuze zu gestalten. Im Mittelpunkt dieser Kreuze steht die Christusfigur. Auf der einen Seite der Rückwand befindet sich eine geschnitzte Darstellung als Bas-Relief, welche den Beruf oder das Hobby der verstorbenen Person symbolisiert. Die andere Seite ist einem mystischen oder spirituellen Motiv gewidmet. Ein Kreuz zeigt beispielsweise auf der einen Seite den verstorbenen Bauern, der in den Bergen wandert. Die andere Seite illustriert, wie er beim Holzeinschlag von einem Ast getroffen wird, während der Tod, in der Gestalt eines Sensenmannes, auf dem Baum thront.

 

Eine Tradition in Gefahr?

Obwohl Reynold Boschung seit über zwanzig Jahren das Werk von Walter Cottier fortführt, bleibt die Zukunft der Grabkreuze ungewiss. Ähnlich wie in vielen anderen Gemeinden nimmt auch in Jaun die Zahl der Erdbestattungen kontinuierlich ab. Seit 1995 gibt es in Jaun einen Bereich für Urnengräber, die naturgemäss kleiner sind und anstelle eines Kreuzes einen Gedenkstein besitzen.

Schuwey erklärt: «In einer Gemeindeversammlung wurde einmal vorgeschlagen, Urnengräber ebenfalls mit Holzkreuzen auszustatten, allerdings in einer kleineren Version. Doch bisher ist nichts passiert. Ich weiss auch nicht, ob etwas geplant ist – vermutlich nicht.»

 

Zudem ist es in der christlichen Tradition üblich, Gräber nach einer gewissen Zeit aufzulösen. In Jaun geschieht dies nach 25 Jahren. Aus diesem Grund werden im nächsten Jahr sieben Holzkreuze entfernt. Was geschieht mit diesen Kreuzen? «Einige Angehörige entscheiden sich dazu, das Kreuz mit nach Hause zu nehmen», erklärt Werner Schuwey. «Andere bitten die Gemeinde, das Kreuz auf dem Dachboden der Kirche zu lagern, zu welchem Zweck auch immer. Und wieder andere werden das Kreuz verbrennen.»

Ein trauriges Ende für ein traditionelles Kunsthandwerk, das weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist.

 

Letzte Wege

Der Tod ist Teil des Lebens. Wie er von verschiedenen Glaubensgemeinschaften, Kulturregionen und jedem einzelnen Menschen gewürdigt wird, ist aber sehr unterschiedlich und hat sich in den letzten Jahren auch stark gewandelt. In einer Serie zu Allerheiligen sprechen wir mit Handwerkern, Bestattern, einer Pfarrerin und vielen anderen, für die der Tod durch ihren Beruf zum Alltag gehört.

Bilder sind im Orignalartikel der FN mit Aboberechtigung online zu finden.

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