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75 Jahre Hirtenverband Sense und Jaun

Helen Kolly auf der Alp Schönebode, wo ihre Familie seit 40 Jahren hirtet. Quelle: Imelda Ruffieux
Helen Kolly auf der Alp Schönebode, wo ihre Familie seit 40 Jahren hirtet. Quelle: Imelda Ruffieux

Online FN Artikel vom 27.07.2025

 

75 Jahre Hirtenverband Sense und Jaun: «Es ging oft ums nackte Überleben»

 

Vor 75 Jahren verdienten die Alphirten im Sense-Oberland und in Jaun oft so wenig, dass es kaum reichte, um die Familien zu ernähren. Dies führte zur Gründung des Hirtenverbands.

Imelda Ruffieux

 

 

 


Der Hirtenverband Sense-Oberland und der Talschaft Jaun feiert dieses Jahr das 75-jährige Bestehen. Der Vorstand hat dies zum Anlass genommen, um die Geschichte des Verbands aufzuarbeiten. Kassierin Helen Kolly, deren Familie seit 40 Jahren auf der Alp Schönebode im Muschernschlund hirtet, hat viele Stunden mit dem Lesen alter Protokolle verbracht. «Die 1950er-Jahre waren eine schwierige Zeit für die Hirtenfamilien im Sense-Oberland», erzählt sie. «Die meisten von ihnen bekamen sehr wenig Lohn. Das war schlimm, denn viele dieser Familien waren kinderreich. So reichte es kaum, um für alle Nahrung zu kaufen.» Helen Kolly erzählt, dass diese Hirten in den Sommermonaten oft nur kleine Berge mit 30 Rindern bewirtschafteten, und der Lohn richtete sich nach der Zahl der gesömmerten Tiere. Es sei aber keine Seltenheit gewesen, dass bis zu zehn Kinder am Tisch sassen.

Der Lohn reichte nicht, um eine Familie zu ernähren.
Helen Kolly, Vorstandsmitglied Hirtenverband

 

Das nackte Überleben

«Oft wurde damals Hirtenlohn nicht allein in Geld ausbezahlt, sondern auch in Naturalien.» Die Alpbesitzer brachten etwa Salat oder Kartoffeln vorbei und verrechneten diese «Gaben» mit dem Lohn, ab und zu geschah dies auch zu sehr hohen Ansätzen. «Das heisst, dass am Ende noch weniger Mittel zur Verfügung standen, um Nahrungsmittel zu kaufen», so Helen Kolly. «Sie lebten von der Hand in den Mund, und oft ging es um nackte Überleben.»

Gemäss dem damals geltenden Gesetz hätten die Hirten Anrecht auf Beihilfen der Ausgleichskasse gehabt – dies jedoch nur, wenn der Arbeitgeber Eigentümer oder Pächter der Alp ist und einen Lohn von 1200 Franken inklusive Naturalien entrichtet. «Die meisten Hirten kamen aber nicht auf diesen Betrag», hält sie fest. Dies war die Ausgangslage, als der Arbeiterverein Sense-Oberland für den 3. April 1951 eine Informationsversammlung einberufen hat.

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Die Alphütte liegt auf 1322 Metern.
Quelle: Imelda Ruffieux

 

Breite Unterstützung

Etwa 50 Hirten fanden sich in Plasselb ein, auch Pfarrherren und Arbeiterseelsorger, ein Grossrat, ein Lehrer, ein Gewerkschaftsvertreter sowie Gemeindevertreter aus Plaffeien, Plasselb, Oberschrot und Zumholz waren dabei. Sie alle waren sich einig, dass sich auf politischem Weg etwas ändern muss, um das Leben der Hirten zu verbessern, und boten ihre Hilfe an.

An diesem Abend hat einer der Hirten den Vorschlag gemacht, einen Verband zu gründen, um vereint eine stärkere Position für Verhandlungen mit dem Kanton zu haben. Anderen stimmten ein, sodass dann am selben Abend Nägel mit Köpfen gemacht wurden. Zum ersten Präsidenten wurde Eduard Stempfel aus Brünisried gewählt, zum Vizepräsidenten Felix Bapst aus Schwarzsee. Weiter waren im Vorstand Kornel Lauper aus Plasselb (Sekretär), Alfons Riedo aus Plaffeien (Kassier) und Oswald Rumo aus St. Silvester (Beisitzer).

 

Treffen mit dem Staatsrat

Bereits drei Wochen später, am 20. April 1951, kam es zu einem Treffen zwischen dem Hirtenverband, Gewerkschaftsvertretern und dem Bauernverband mit Staatsrat Maxime Quartenoud sowie der kantonalen Familienzulagenkasse. Wie den Archivunterlagen zu entnehmen ist, verlief das Treffen nicht einfach. «Wir sind nicht dazu da, den Bauern die Löhne für ihre Hirten zu bezahlen», sagte der damalige Direktor der Familienzulagenkasse. Der Sensler Grossrat Alfons Brügger, damaliger Präsident des Freiburger Bauernverbands, wies darauf hin, dass die Hirten von grösseren Alpen besser entlöhnt seien. «Es geht darum, den Kleinen zu helfen.» Er argumentierte, dass die meisten Familien in Notlage kommen, wenn sie im Sommer auf die Alp und im Winter als Holzer tätig sind und deshalb eine Zulage benötigen.

Der Vizepräsident des neuen Hirtenverbands, Felix Bapst, wies zudem darauf hin, dass sich die Löhne seit den 1920er-Jahren nicht geändert hätten und immer noch bei zehn Franken pro gesömmertem Tier seien. Angebracht wäre aber eine Erhöhung auf 20 Franken. Die Parteien gingen mit dem Versprechen aus dieser Sitzung, die Anliegen zu prüfen.

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13 Kühe, 16 Rinder, 4 Kälber, 20 Hühner, 1 Katze und 6 Säue sind im Sommer auf der Alp Schönebode.
Quelle: Imelda Ruffieux

 

Löhne werden erhöht

Als der Hirtenverband am 29. Dezember 1951 die erste ordentliche Generalversammlung abhielt, beschlossen die Hirten, dass künftig der Naturallohn nicht mehr zum eigentlichen Hirtenlohn gezählt werden darf. Der Kampf des Hirtenverbands hat sich gelohnt: 1952 stieg der Mindestlohn auf 25 Franken pro gesömmertem Tier. Das war ein grosser Fortschritt. Denn dadurch konnten die Hirtschaften auch ihre Knechte richtig entlöhnen und die Hirten kleiner Berge hatten Anrecht auf Zulagen.

Im Vergleich zu den Anfängen des Verbands ist aber einiges leichter geworden.
Helen Kolly, Vorstandsmitglied Hirtenverband

Im Laufe der Jahre hat der Verband allerlei Aktivitäten entwickelt, um die Verbandskasse zu füllen. Das Lotto, das 1954 erstmals zu diesem Zweck durchgeführt wurde, findet auch heute noch statt. 1957 durften erstmals Frauen an der Generalversammlung teilnehmen.

1961 stellten die Hirten aus dem Jauntal den Antrag, in den Verband aufgenommen zu werden. Ein Jahr später wurde dies offiziell angenommen. Die ersten 31 Jauner Mitglieder wurden dann aber erst 1971 aufgenommen. Neu hiess der Verband nun Hirtenverband Sense-Oberland und Talschaft Jaun.

 

Buvetten und Alpstrassen

Im Laufe der Jahre beherrschten andere Themen den Vorstand und die Mitglieder. Zum Beispiel, dass es für die Hirten immer schwieriger wird, im Winter einen Nebenverdienst zu finden. 1997 änderte sich das Gesetz und alle Hirten, die im Sommer Gäste bewirteten, mussten das Buvettenpatent erwerben und einen Hygienekurs besuchen. Ende der 1990er-Jahre fingen die Diskussionen über die geplanten Alpstrassen-Schliessungen an, die Jahre später umgesetzt werden. Auch Krankheiten wie die Gemsblindheit, Veränderungen in der Agrarpolitik und ab 2004 zunehmende Dürreperioden auf den Alpen sowie die Notwendigkeit, Wassertransporte zu organisieren, waren Thema.

Immer wieder auch die für die Hirten oft unverständlichen Forderungen seitens Naturschützer. «Die Hirten sollten die Alpen pflegen und hegen. Gleichzeitig machte man ihnen aber Vorschriften, dass sie diese und jene Pflanze verschonen sollen», erklärt Helen Kolly ein Beispiel. 2009 kam die Forderung auf, auf Stacheldraht zu verzichten, und der Wolf wurde zum Dauerthema bei den Hirten. Der Verband umfasst heute rund 260 Mitglieder und vertritt etwa 50 Alpbetriebe.

Hirten und kleine Landwirtschaftsbetriebe rentieren auch heute meist nicht mehr.
Helen Kolly, Vorstandsmitglied Hirtenverband

 

Einfacher als früher

«Einige dieser Themen werden uns auch weiterhin beschäftigen», sagt Helen Kolly, welche die Geschichte des Hirtenverbands zusammengefasst hat. Sie soll nächstes Jahr in Form einer Broschüre publiziert werden. Die Arbeit der Hirten ist auch heute nicht einfach. Lange Tage und die Arbeit mit der zum Teil unberechenbaren Natur gehören dazu. «Im Vergleich zu den Anfängen des Verbands ist aber einiges leichter geworden», sagt sie. Heute gebe es Maschinen, die die Arbeit erleichtern. Zudem seien die Zufahrtswege zu den Alphütten und deren Einrichtungen viel besser.

 

Immer noch das Einkommen

Doch auch heute spielt das Einkommen eine Rolle. Weil es nicht mehr einfach ist, Hirten zu finden, die diese aufwendige Arbeit machen, gab es eine Verlagerung. «Heute übernimmt ein Hirt oft die Verantwortung für mehrere Berge und nicht nur für einen», erklärt Helen Kolly. Ausserdem würden viele Alpen vom Tal aus bewirtschaftet. Das heisst, der Landwirt ist nicht mehr den ganzen Sommer über als Hirt auf der Alp, sondern macht regelmässige Kontrollgänge und kehrt am Abend zu seinem Talbetrieb zurück. «Hirten und kleine Landwirtschaftsbetriebe rentieren auch heute meist nicht mehr. Ohne Nebenerwerb reicht das Einkommen nicht für eine Familie.» Sowieso ist für sie klar: Hirten ist mehr als bloss ein Job. «Es ist wie ein Fieber, wenn man einmal davon ergriffen ist, dann kommt man davon nicht mehr los.»

 

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